Donnerstag, 24. Januar 2008

Text über Kinderrechte für die Brücke Feb. Ausgabe

Haben Kinder Recht(e)?



Im April 2005, stand ein kleiner verrotzter Junge, Jangala Chengula, vor mir und schaute mich mit großen Augen an. Er war offensichtlich sehr krank und ganz abgemagert. Er war so schwach, dass er kaum noch gehen konnte.

Als er und sein Onkel das Krankenhaus im tansanischen Bulongwa und die damalige CTC zum ersten Mal betraten, war Jangala`s Testergebnis HIV- positiv und er verfügte nur noch über zwanzig CD4 Zellen. Aufgrund seiner nun beginnenden antiretrovialen Therapie, die aber nur mit guter Ernährung erfolgreich sein würde, bekam er einen Platz im Waisenhaus. Sein Alter schätzten wir auf zwölf, doch sah er jünger aus. Davor hatte er in einem weit abgelegenen Dorf mit seinem Onkel gelebt, der Alkoholiker war, und ihm offensichtlich weder Nahrung noch Bildung hatte bieten können. Dieser Junge kannte die Natur und deren Pflanzen wie kein anderer, zu Hause dürfte er nur im Freien unterwegs gewesen sein. Trotz seiner ersichtlichen Schwäche hatte er daheim offensichtlich schwere Arbeit wie Wassertragen und Holzhacken verrichtet.



Rechte werden oft verletzt

Das Recht auf medizinische Behandlung ist ein Menschenrecht und wird in Tansania oft verletzt. Zu viele Kinder werden nicht bemerkt, nicht geschätzt, nur zur Arbeit benutzt, abgeschoben, missbraucht usw. Wo sind die Rechte der Kinder, der Waisen und Halbwaisen, die oft von ihren Ersatzeltern nicht ausreichend versorgt werden können?

Im Falle Jangalas kann man von einem glücklichen Fall sprechen. Er kam aus einer Umgebung, in welcher aufgrund der schwierigen Bedingungen Kinderrechtsverletzungen stattgefunden haben. In den meisten Fällen liegt es an der Armut oder der fehlenden Bildung. Vielfach ist aber auch ein, in gewisser Weise, negativer Umgang mit Kindern in der Kultur verankert: „Ein Kind ist ein unvollkommenes Wesen, dem erst Anstand und Weisheit antrainiert werden muss. Kinder haben nie Recht, Kinder haben zu gehorchen, Kinder haben sich zu unterwerfen“. Dies ist leider eine weit verbreitete Sichtweise.

Im Folgenden werde ich eine enge Verbindung zwischen dem Schicksal Jangalas und den internationalen Kinderrechten herstellen. Deren Nichteinhaltung musste ich immer wieder während meines Bulongwa-Volontariats in der lokalen Volksschule und im Waisenhaus erleben.



Freie Meinung nicht gefragt

Das Recht auf Schutz vor körperlicher oder seelischer Gewalt existiert so gut wie gar nicht. Insbesondere seelische Gewaltanwendung kommt in Form von Diskriminierung, Stigmatisierung oder Drohungen immer wieder vor.



Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung kam in der Volksschule zu kurz. Und sollte dies passieren, wurde diese Angewohnheit dem Kind so schnell wie möglich wieder abgewöhnt. Die eigene Meinung des Kindes ist nicht gefragt und wird auch nicht gefördert. Die Methoden gleichen den unsrigen vor 100 Jahren. Sollte ein Schüler sich in die Hose machen, weil er nicht aufs WC durfte, wurden auch bei uns primitive Methoden angewendet um ihm das abzugewöhnen. In dem Beispiel, das ich kenne, musste das Mädchen ohne Rock eine Stunde lang draußen im Regen stehen. Außerdem gibt es immer wieder regelrechte Prügelaufgaben. Der Lehrer geht mit der Rute durch den Klassenraum und gibt den Schülern Beispiele auf Zeit. Jeder der nicht fertig wird, wird auf den Rücken gepeitscht.

Somit werden die Kinder dort mit Schlägen, Drohungen und Arbeit so schnell wie möglich zu kleinen Erwachsenen gemacht, und bleiben doch innerlich Kinder. Ein Mensch der nie sagen durfte, nie fragen durfte, seine Schmerzen nie äußern durfte, sich für Schläge bedanken musste, kann seine Persönlichkeit nicht entfalten. Sie oder er kann dadurch zu keinem verantwortungsvollen und selbstbewussten Erwachsenen werden, der seinen Kindern wiederum respekt- und liebevollen Umgang mit Menschen weiter gibt. Dort wo sich niemand respektiert und aus Angst die Liebe zu kurz kommt, sind Kinder verloren.


„Fürsorge“ hat andere Bedeutung

Jene Kinder welche die ARV/Aids-Therapie bekamen und aufgrund dessen ins Waisenhaus kamen, erfuhren im Waisenhaus einen Luxus, welchen sie zu Hause in Armut nie erlebt hatten. Dreimal täglich eine Mahlzeit, ein Bett mit Matratze, von weißen Besuchern mitgebrachte Spiele und Süßigkeiten. Und trotzdem kann diese Institution sich Dinge erlauben, welche bei uns Paradebeispiele für Kinderrechtsverletzungen wären. Vieles davon wurde mir erst im Nachhinein bewusst. Zum Unterschied von anderen Fällen, ist das Waisenhaus nicht arm und wird von Spendengeldern finanziert, das Personal ist sogar teilweise ausgebildet und wird angemessen bezahlt.

In diesem Zusammenhang liegt mir das Recht auf Fürsorge sehr am Herzen Das Wort Fürsorge wird bei uns und in Teilen Tansanias unterschiedlich ausgelegt. Ich verstehe unter Fürsorge eine umfassende und liebevolle Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der Kinder, körperlich sowie seelisch. Dort heißt Fürsorge, Kinder ernähren, ihre Wäsche waschen, die Kinder waschen, Kinder zurechtweisen oder bestrafen. Spiele gibt es fast keine. Ich erlebte regelmäßig, wie Säuglinge stundenlang in ihrem Kot lagen und schrien, während das Personal in der Küche beim Tee saß und tratschte. Kindern, die weinen, wird mit dem Stock gedroht, damit sie wieder aufhören.

Ester aus dem Waisenhaus, schwerst behindert, aß sehr oft mit ungewaschenen Händen, welche sie zum Krabbeln und Klogehen gebrauchte, sie konnte ja nicht gehen. Später, als sie schwer krank war, wurde mehrmals vergessen, ihr das Essen zu bringen. Schließlich ist sie gestorben - ob es die fehlende Fürsorge war oder ihr ohnehin schlechter Zustand, weiß ich nicht. Soviel zu kinderrechtlicher Fürsorge.

Bezüglich des Kinderrechts auf Eigentum sah es im Waisenhaus leider auch schlecht aus. Und dies wird sich auch nicht ändern, solang eifersüchtige und diebische BetreuerInnen Kindern ein Vorbild sind. Sobald Kinder Geschenke erhalten, werden diese von den BetreuerInnen für den Eigengebrauch eingezogen. Eigentum währt nie lange. Dies ist wiederum besser, wenn Kinder in den Familien aufwachsen.


Frage an uns alle

Abschließend komme ich zum Recht auf Freiheit. Was ist Freiheit und wie viel wird benötigt? Das ist eine Frage, die sich eigentlich an uns alle richtet.

Kinder dürfen Träume haben und spielen. Kinder haben ein Recht darauf, Kind zu sein.

In Städten und wohlhabenden Familien werden diese Themen natürlich viel offener und vorsichtiger behandelt. Kinder haben viel mehr Entwicklungschancen, was sich mit der wachsenden Bildung und Entwicklung langsam immer weiter ausbreiten wird. Seit 1991 konnte die tansanische Regierung durch vielfältige Maßnahmen schon viele Menschen aufklären und Kinderrechte besser schützen. Mit ausreichenden und landweiten Seminaren für Eltern in Sachen Menschenrecht und Persönlichkeitsbildung, würde sich vieles verbessern. Aber Tansania hat menschenrechtlich noch einen weiten Weg zu gehen. „Kinder sind die Zukunft Tansanias“ und sollten daher die Möglichkeit haben, sich selbstständig, unbeschwert und individuell zu entwickeln.

Elisabeth Zenz

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